Warum John von Neumann? Was hat uns seine Geschichte heute zu sagen?
Historisch kommt John von Neumann dem am nächsten, was wir eine übermenschliche Intelligenz nennen können. Absolut einzigartig. »Nur er war ganz und gar wach« – so hat es einer seiner engsten Freunde formuliert. Wenn wir auf sein Leben schauen, seine Arbeit, seine Genialität, seine Makel und all das, was er in Wissenschaft und Technik bewirkt hat, richten wir den Blick zugleich auf eine Welt, in der wir in den nächsten Jahrzehnten womöglich
leben werden. Denn ob es uns gefällt oder nicht, die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass wir es bald mit Intelligenzen zu tun bekommen, die mit unserer eigenen Intelligenz nicht nur konkurrieren, sondern sie übertreffen.
In MANIAC geht es um die Geschichte des John von Neumann, aber auch um den österreichischen Physiker Paul Ehrenfest und den koreanischen Go-Spieler Lee Sedol. Was haben diese Männer gemein, und warum haben Sie die Form eines Triptychons gewählt?
Paul Ehrenfest war ein leidenschaftlicher Mensch und besessen von der Idee, die Physik bis auf den tiefsten Grund zu verstehen; aber als er selbst nicht mehr nachvollziehen konnte, was sie bedeutete oder was während des aufkommenden Nationalsozialismus mit der Welt um ihn herum geschah, trieb es ihn in die Verzweiflung. Lee Sedol war nicht nur ein legendärer Go-Spieler, sondern ein wahrer Künstler, er widmete sein Leben einem Spiel, das für ihn die Schönheit schlechthin verkörperte. Beide wurden durch eine neuartige Kraft zerstört, Paul beschreibt sie im Buch als eine zutiefst unmenschliche Form von Intelligenz, der die innersten Bedürfnisse des Menschen gleichgültig sind. Eine Art gestörte Vernunft, so logisch gesteuert wie irrational, die noch schlummern mag, sich kaum regt, aber unbestreitbar immer stärker wird.
Als Sie MANIAC schrieben, wussten wir noch gar nichts von ChatGPT und Midjourney – wie haben Sie kommen sehen, dass dieses Thema die Diskussion rund um den Globus bestimmen würde?
Die einzige Möglichkeit, Kommendes vorherzusehen oder Verlorenes zurückzugewinnen, besteht darin, sich selbst Kräften zu überlassen, die man nicht beherrschen und auch nicht verstehen kann. Mein Ansatz beim Schreiben ist ein recht archaischer, ich glaube nämlich nicht, dass die Intelligenz der Literatur dem Rationalen entspringt. Wir begeben uns auf das Terrain der Obsession und des Deliriums. Ich möchte nicht verraten, wie ich dabei vorgehe, nur so viel: Aus unserer Zeit ist es nicht. Und so sollte es auch sein, denn Literatur ist eine dunkle Kunst. Sie ist keine Wissenschaft, kennt keine Methode. Sie ist ein alchemistisches Chaos.
John von Neumanns Geschichte wird erzählt von ehemaligen Mitschülern, von Kollegen, Angehörigen und Freunden – warum diese Vielstimmigkeit? Warum haben Sie nicht ihn selbst sprechen lassen, sondern andere?
Was ein Rätsel ist, sollte auch ein Rätsel bleiben. In ihrer Ganzheit sehen wir die Dinge nur mit ihren Schatten. Ein so vielschichtiger und widersprüchlicher Charakter wie von Neumann kann von einer einzigen Erzählstimme nicht erfasst werden, und genauso wenig können wir darauf vertrauen, ihn in seiner eigenen Stimme zu verstehen.
Mensch gegen Maschine – wer wird am Ende gewinnen? Oder ist das die falsche Frage?
Das können wir nicht wissen. Während ich noch an MANIAC schrieb, dachte ich, dass es mit der Künstlichen Intelligenz niemals zu solch irren Szenarien käme, wie wir sie aus der Science-Fiction kennen. Aber so schnell, wie sich die Dinge entwickeln, können selbst Fachleute nur staunen. Irgendwelche Prognosen scheinen mir zum gegenwärtigen Zeitpunkt sinnlos zu sein. Aber das ist ja nichts Neues. Die Menschheit hat es schon länger in der Hand, sich selbst auszulöschen. Als Individuen und als Spezies vollführen wir einen Tanz auf der Rasierklinge, denn was uns zum Leben hinzieht, zur Wahrheit, zur Schönheit, ist auf so vielfältige Weise verbunden mit unserem Todestrieb und unseren Schatten, dass wir niemals imstande sein werden, es ganz voneinander zu trennen.