Wellen ist ein Roman über einen Mann, der sich immer für einen sanftmütigen, toleranten, liebenden Ehemann und Vater gehalten hat, bis er plötzlich merkt, dass in ihm ein ganz ähnliches Potenzial an Wut und vielleicht sogar Gewalt schlummert wie in den misogynen Männern, die er so verabscheut.
Ausgehend von Momentaufnahmen aus dem Alltag eines Schriftstellerpaares mit einer neugeborenen und einer siebenjährigen Tochter folgt der Erzähler ein Jahr lang seinen Assoziationsketten – Erinnerungen, Hoffnungen, Sehnsüchten, Enttäuschungen und Fantasien – auf der Suche nach den Ursprüngen seiner dunklen Seite und nach einer Antwort auf die Frage, wie viel von dieser Dunkelheit mit seinem Mann-Sein zu tun hat.
In der Annahme, dass nur die radikalste, schonungsloseste Aufrichtigkeit gegenüber den eigenen Impulsen zu einer Erkenntnis und damit zur Wiedererlangung der Kontrolle über Denken und Fühlen führen kann, befördert der Erzähler seine destruktiven Tendenzen zutage. Nach und nach gelingt es ihm jedoch auch, seine Gedanken jedes Mal schneller wieder zurückkehren zu lassen ins Hier und Jetzt. Er lernt, dass Wahrheit nicht das ist, was ein Mensch denkt, der etwas sieht, sondern das, was sich mindestens zwei Menschen auf ähnliche Art und Weise zeigt. Er lernt, dass die Fragen, wie man etwas betrachtet und was man darin erkennt, welche Bilder welche Wörter hervorrufen im Kopf, immer auch Fragen der eigenen Haltung sind. Er lernt, dass es möglich ist, das eigene Denken und Fühlen zu lenken, indem er zuallererst seinen Blick lenkt. Und indem er eine Form findet für die permanent in ihm und an ihm arbeitende Sprache. Eine Form, in der sich das Dunkle mit dem Hellen vermischt: Wellen.
Die Sprache und Form des Romans, mit der Wahrnehmungs-, Denk- und Fühlprozesse und ihre gegenseitige Durchdringung abgebildet werden, während sie geschehen, hinterfragt nicht nur die Ideale einer geschlossenen, linearen Narration, sondern legt zahlreiche weitere aktuelle Fragen offen über Geschlechterrollen, Familienmodelle sowie den Zusammenhang zwischen Sprache und gesellschaftlicher Realität.
So erinnert der Roman Leserinnen und Leser, welche die Angst vor Kontrollverlust, Überforderung, Ungeduld, Langeweile oder sonstige Enttäuschungen im Zusammenhang mit ihren Erwartungen an sich selbst als Eltern, Partner:innen oder einfach Menschen wiedererkennen, hoffentlich daran, dass sie – auch wenn es manchmal so scheint – niemals alleine damit sind.