5 Fragen an Dana Vowinckel zu Gewässer im Ziplock

Beitrag zu 5 Fragen an Dana Vowinckel zu <em>Gewässer im Ziplock</em>

Gewässer im Ziplock ist Ihr Debütroman. Wie lange haben Sie daran gearbeitet und wie entstand die Idee zu der Geschichte?

Ich habe bis zur Manuskriptabgabe ziemlich genau zwei Jahre daran gearbeitet – vor dem Bachmannwettbewerb 2021 hatte ich allerdings bloß etwa zwanzig Seiten, den Großteil habe ich dann zwischen dem Sommer 2021 und Winter 2022 geschrieben. Die Idee entstand, weil ich Kantoren immer schon so schillernde, spannende Figuren fand – uneindeutig, auf ihre Art, denn dieser Job, der einerseits aus Religion und andererseits aus Musik besteht, ergibt für mich ein spannendes Wechselspiel aus Irdischem und Göttlichem. Zuerst gab es also Avi. Margarita ist dann ganz schnell gefolgt, und auf ihre bissige, neurotische Art hat sie mich nicht mehr losgelassen – ein aufbrausendes, völlig areligiöses Pendant zu ihrem ernsten, leisen Vater.

Blick auf die Skyline von Chicago mit Gewässer im Vordergrund, 2022. Copyright: Dana Vowinckel
Chicago, 2022.
 

Im Zentrum des Romans stehen die fünfzehnjährige Margarita, ihr Vater Avi und Margaritas Mutter Marsha. Eine glückliche Familie?

Glücklich, das weiß ich nicht. Ich würde es ganz klischiert mit Tolstoi halten und sagen: auf ihre bestimmte und einzigartige Art eine unglückliche Familie, denn sie ähneln keiner anderen Familie. Aber vielleicht sind sie eine glückliche unglückliche Familie: der große Schmerz, wie es sie gibt, diese Familie, aber ein großes Glück, dass es sie gibt. Avi und Marsha lieben ihre Tochter auf sehr unterschiedliche Arten, sie sind beide einsam, beide wünschen sich, dass bestimmte Dinge anders gelaufen wären. Aber sie mögen ihre Leben. Und Margarita ist fünfzehn. Es wäre besorgniserregend für mich, wenn sie ihre eigene Familie als eine glückliche sehen würde. Und ich glaube, es kann – auf den zweiten Blick – ein großes Glück darin gefunden werden, dass Avi, Margarita und Marsha eine Familie sind, die an gesellschaftlichen Normen vorbei versucht, sich als Familie zu definieren.
 

Totes Meer, 2022. © Dana VowinckelTotes Meer, 2022.
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Blick auf ein Becken eines Berliner Freibads, 2022. Copyright: Dana Vowinckel​​​​​​Berlin, 2023.

Ihr Roman spielt in Berlin und in Jerusalem, in Chicago, auf Spiekeroog und in Tel Aviv – gibt es für Sie etwas, das all diese Orte verbindet?

An all diesen Orten hab ich schon mal in der Öffentlichkeit geheult. Und all diese Orte haben für mich ein großes literarisches Potential – sie sind politische Orte, umstrittene Orte. Jerusalem vielleicht etwas mehr als Spiekeroog, aber Spiekeroog steht für mich auch für ein Deutschland außerhalb von Berlin, an dem getan wird, als wäre nie etwas passiert. Berlin und Chicago sind die Städte meiner Kindheit, der Alltag meiner Kindheit in Berlin, die Sommer in Chicago. Und Israel ist halt Israel, kompliziert, furchtbar, und wichtig für mich.

Strand von Spiekeroog, 2021. Copyright: Dana Vowinckel
Spiekeroog, 2021.
 

Sie sind in Berlin und Chicago aufgewachsen und haben während Ihres Studiums zeitweise auch in Cambridge und Toulouse gelebt. Wo fühlen Sie sich zu Hause?

Ich fühle mich besonders zu Hause, wenn ich tatsächlich physisch in meiner Wohnung sein kann, die ist in Berlin. Aber ich glaube, sie könnte auch woanders sein. Zu Hause ist so vieles: der Geruch von amerikanischen Wäschereien, von nassem Rasen auf Chicagos South Side, Bagels mit Lachs und Frischkäse, ein großes Bier mit einer verbotenen Zigarette und meinen liebsten Freundinnen in einer Kreuzberger Kneipe, sind mein Bett, mein Laptop darin, und neben mir mein erster Leser, zu Hause ist das Lecha Dodi an einem Freitagabend, und das Licht bricht durch die Synagogenfenster, zu Hause ist aber auch der Wohnzimmerteppich meiner Großeltern in Bielefeld, auf dem ich bäuchlings lese, und abends gibt es Graubrot und Schinken. Zu Hause ist auch die Literatur, das Lesen und natürlich das Schreiben. Vielleicht ist zu Hause der blinkende Cursor im Word-Dokument.
 

Dachterrasse mit Pool in Chicago, 2016. Copyright: Dana VowinckelChicago, 2016.

Wasserfall in En Gedi, 2022. Copyright: Dana VowinckelEn Gedi, 2022.

Strand von Tel Aviv, 2022. Copyright: Dana VowinckelTel Aviv, 2022.

 

Wer sollte Ihren Roman unbedingt lesen?

Ich kann mir keine genaue Zielgruppe vorstellen, aber vielleicht: alle, die schon einmal Liebeskummer hatten. Alle, die Teenager für besonders schlau oder auch für besonders dumm halten. Alle, die einen Körper haben, den sie manchmal nicht mögen. Alle, die Gedanken haben, die sie manchmal nicht mögen. Jeder Mensch, der Selbstmitleid kennt, aber auch jeder Mensch, der Empathie kennt. Menschen, die keine Heimat wollen oder brauchen, und Menschen, die trotzdem ständig Heimweh haben. Menschen mit jüdischen Großmüttern. Und ganz besonders würde ich meinen Roman Menschen ans Herz legen, die unter Misophonie leiden.

Alle Fotos © Dana Vowinckel
 

Der Debütroman von Dana Vowinckel

Gewässer im Ziplock
Broschur 13,00 €
eBook 19,99 €
Ein mitreißendes Porträt jüdischen Familienlebens heute

Von großen und kleinen Lügen, Glücksmomenten und Enttäuschungen, von Zuneigung und Schmerz erzählt Dana Vowinckel in ihrem Debütroman. Gewässer im Ziplock ist eine mitreißende Familiengeschichte zwischen jüdischer Tradition und deutschem »Gedächtnistheater«. Eine Geschichte voller Leben und Menschlichkeit.

DIE PLAYLISTS ZUM BUCH

Hören Sie die passende Musik zum Buch, während Sie Gewässer im Ziplock lesen: Auf Spotify finden Sie zwei Playlists zu Margarita und Avi – kuratiert von der Autorin.
Vowinckel – Playlist Margarita
Vowinckel – Playlist Avi

Dana Vowinckel wurde 1996 in Berlin geboren und studierte Linguistik und Literaturwissenschaft in Berlin, Toulouse und Cambridge. Beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2021 wurde sie für einen Auszug aus Gewässer im Ziplock mit dem Deutschlandfunk-Preis ausgezeichnet. 2023 wurde ihr ein Arbeitsstipendium des Berliner Senats zugesprochen. 2024 ist sie Stipendiatin bei Art Omi. Dana Vowinckel lebt in Berlin.
Dana Vowinckel wurde 1996 in Berlin geboren und studierte Linguistik und Literaturwissenschaft in Berlin, Toulouse und Cambridge. Beim...