Wann haben Sie Sich zum ersten Mal in eine psychiatrische Klinik begeben und wieso?
Ich war
verrückt. Das war in einer Phase, in der viel passiert war, ich war sehr jung, hatte viele Gedanken im Kopf. Einiges, was sonst für mich selbstverständlich war, kam mir sehr merkwürdig vor. Es kam mir vor, als würden die Menschen um mich herum nicht sie selbst sein, sondern Rollen spielen. Ich bezeichne diese Zustände in dem Buch darum auch als Kulturschock par excellence. Ich war von philosophischen Fragen getrieben, deren Antworten ich förmlich erlebte. Es war ein fantastischer, teilweise sehr schöner Zustand, ich hatte zeitweise aber auch Angst, ich konnte vor und während dieses Zustandes überhaupt nicht mehr schlafen und ich bin damals alleine nicht wieder herausgekommen.
Warum bezeichnen Sie Psychiatrieerfahrene in Ihrem Buch als verrückt?
Ich verwende den Begriff
Verrückte in dem Buch in erster Linie als Reclaiming für Menschen, die wie ich irgendwann in ihrem Leben Erfahrungen gemacht haben, die im medizinischen Sinne als Psychose oder Manie bezeichnet werden und den Begriff
verrückt, um diese Zustände zu benennen. Ich habe für das Buch aber auch Gespräche mit Psychiatrieerfahrenen geführt, die andere Zustände erlebt haben, die nicht der Norm entsprechen. Letztlich benutze ich das Wort um eine diskriminierende Fremdbezeichnung selbstbestimmt wieder zurückzuholen. Und auch um den Begriff »psychisch krank« und psychiatrische Diagnosen zu problematisieren, vor allem einen damit verbundenen Biologismus.
Welche Erfahrungen haben Sie vor Ort gesammelt?
Ich habe erlebt, dass in der Psychiatrie sehr nachdenkliche, sensible Menschen zusammenkommen, oft Menschen, die viel erlebt haben und denen auf Akutstationen teilweise mit einer regelrechten Brutalität begegnet worden ist. Ich habe erlebt, dass es viel um Diagnosen, Genetik und Tabletten geht und weniger um Verständnis und dass Menschen extrem bevormundet werden. Ich habe aber auch empathische Menschen getroffen, die im psychiatrischen System arbeiten und einiges daran selbst kritisieren. Und ich habe in der Psychiatrie eine unfassbare menschliche Wärme unter den Patient:innen gespürt, zwischen Menschen, die sich im Alltag sonst sehr fern sind und die ich später manchmal vermisst habe.
Gehen Menschen anders mit Ihnen um, wenn Sie erzählen, dass Sie selbst Psychiatrieerfahrungen haben?
Ich finde es interessant wie unterschiedlich Menschen auf diese Information reagieren und ich glaube deshalb mittlerweile, dass es viel über die Person selbst aussagt, wie er oder sie mit dieser Information umgeht. Menschen projizieren alles Mögliche auf
Verrückte, oft ohne wirklich mit dem jeweiligen Menschen gesprochen zu haben und zu fragen, was sie erlebt haben, welche Bedeutung sie diesem veränderten Welterleben zuschreiben und wie es ihnen heute geht – was alles sehr unterschiedlich sein kann. Stattdessen wird häufig verallgemeinert, auch über die konkreten Krisensituationen hinaus, was sicherlich auch den psychiatrischen Kategorien, also Diagnosen, geschuldet ist und dem Tabu, das auf diesen Erfahrungen lastet. Ich habe erlebt, dass die Information, in der Psychiatrie gewesen zu sein, Distanz schafft, wenn das Gegenüber Vorurteile hat und sich von
Verrückten abgrenzen will, aber auch, dass sie Menschen zusammenbringen kann.
Warum ist es notwendig, unser Psychiatriesystem zu reformieren? Was muss sich ändern?
Mir geht es mit dem Buch darum, überhaupt erstmal eine gesellschaftliche Diskussion über Psychiatriekritik anzustoßen und zu zeigen, dass die Psychiatrie als ein gesamtgesellschaftliches Phänomen betrachtet werden muss. Es wäre wichtig, sich als Gesellschaft mit Menschenrechtsverletzungen in der Psychiatrie auseinandersetzen und für mehr Alternativen zu Zwang und Paternalismus zu sorgen. Die Psychiatrie müsste sich mit ihrer Historie auseinandersetzen und aus der Geschichte Konsequenzen ziehen. Und sie müsste sich dabei eingestehen, dass jeder Mensch verschieden ist und der Mensch als Mensch fragil.
Wer sollte Ihr Buch unbedingt lesen?
Ich denke, dass sich allgemein Menschen für das Buch begeistern könnten, die sich für Philosophie und Kulturanthropologie interessieren, aber auch für Geschichte, insbesondere die NS-Zeit, für Erinnerungskultur, Diskriminierung und Menschenrechte. Es ist nicht nur ein Buch über Psychiatriekritik. Ich würde eigentlich sagen, dass mein Buch ein Buch über das Menschsein ist. Es geht viel um existenzielle Fragen, Identität, die Suche nach einem Platz in der Welt, auch um Sprache und Begrenztheit. Letztlich um Themen, mit denen sich sicherlich alle Menschen schonmal beschäftigt haben. Vor allem aber würde ich mich freuen, wenn es Psychiatrietätige lesen und das Buch vielleicht ein Anstoß sein kann, um etwas an den Missständen in Psychiatrien zu ändern. Und noch mehr, wenn Menschen sich darin wiederfinden und sich durch das Lesen vielleicht weniger einsam fühlen.