Schindel, Stepanova, Kunst und Šalamun sind Lyrik-Empfehlungen 2024

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20.03.2024
Beitrag zu Schindel, Stepanova, Kunst und Šalamun sind Lyrik-Empfehlungen 2024
Robert Schindels Flussgang, Maria Stepanovas Winterpoem 20/21, Thomas Kunsts und Tomaž Šalamuns Steine aus dem Himmel gehören zu den Lyrik-Empfehlungen des Jahres 2024.

In der Empfehlung zu Flussgang von Robert Schindel schreibt Literaturwissenschaftlerin und Kritikerin Daniela Strigl: »Mit einem düster funkelnden Meisterwerk, in dem so mancher Farbtupfer nur umso nachdrücklicher auf die alles grundierende Schwärze verweist, meldet sich Robert Schindel als Lyriker zurück. Flussgang meint den Gang zum Wasser und zum Ufer des Styx in der Unterwelt, es geht unaufhaltsam flussabwärts: ›Irgendwie rauscht mich das Sterben an‹. Krankheit und Schmerz, Schlaflosigkeit und Schwäche prägen Wahrnehmung und Empfindung. Handgreiflich springt uns die Angst an. Nur der ›Spätliebe‹ und dem Gezwitscher der Vögel gelingt die Aufheiterung des Beklommenen, der sich in diesen 55 Gedichten ebenso den verflossenen Lieben widmet, auch jener zu den ›Genossen‹. Zu Pathos neigt Schindel nicht, eher zur forcierten Farce. Überhaupt macht der Zusammenklang von hohem und niedrigem Ton den charakteristischen Schindel-Sound aus. Der ironische Blick gilt auch dem eigenen Dichtertum – ›Poetenzores‹: ›Es gibt Tage da wollen die Wörter nicht kommen / Es gibt Nächte da wollen die Wörter nicht gehen‹.

Winterpoem 20/21 von Maria Stepanova in der Übersetzung von Olga Radetzkaja empfiehlt Lyrikerin, Übersetzerin und Literaturkritikerin Ilma Rakusa: »Dieser dritte auf Deutsch erschienene Gedichtband der russischen Lyrikerin Maria Stepanova nimmt den Stillstand der Pandemiezeit zum Anlass, um berückend-melancholische Wintertableaus zu zeichnen, aber auch mit Ovids Tristia in Zwiesprache zu treten. Wobei dieser ans Schwarze Meer exilierte Ovid sehr heutig klingt: Er beklagt nicht nur seine Einsamkeit unter Barbaren, er wettert gegen Dichter, die ›sich gern mit erfundenem Unglück schmücken‹ und massenhaft Bekenntnislyrik produzieren, vor allem aber verflucht er die ›örtliche Harterde‹, gedüngt ›mit der Buttermilch des Kulturimperialismus‹. Stepanova zurrt römische Vergangenheit und Putins völkerrechtswidrige Annexion der Krim zusammen, so wie sie Ovids Verbannung in den kalten Norden mit dem Pandemiewinter verknotet. Fäden laufen in viele Richtungen, und zum polyphonen Stimmenchor gehören Zitate von Puschkin, Mandelstam, Sappho und dem Chinesen Du Fu. Einmal mehr beweist sich Stepanova als eine Dichterin von großer Komplexität und visionärer Kraft.«

Herausgeber und Kritiker Norbert Wehr schreibt über von Thomas Kunst: »Ein Gedicht sei erst dann ein Gedicht für ihn, wenn er die gewöhnlichsten Dinge darin auf das Heftigste irritiere, hat Thomas Kunst mal seine Poetologie charakterisiert. Dass er eine widerspenstige, übermütige, verrückte Phantasie besitzt, stellt er auch in seinem neuen Band unter Beweis. Eine Phantasie, die nicht gezähmt, sondern entzündet wird durch strenge, virtuos beherrschte Formen, durch eine zwingende Komposition des Gesamtbands (sechs Kapitel mit je 15 Gedichten, wobei das 15. Gedicht, ähnlich wie im Sonettenkranz, ein sogenanntes Meister-Gedicht ist, adressiert an Kunsts Katze Wü) und durch Sonette, 31-silbige Tankas sowie Kurz- und Langgedichte, deren Zeilen immer kürzer werden und die am Ende, in der Schlusszeile, ›spitz‹ auf ein einzelnes Wort zulaufen – eine eigenwillige Kunst-Erfindung. ›Meine liebe Wü, ich bin so barbarisch müde, wären / Wir nur endlich wieder von elementarer Dichtung / Umgeben …‹, heißt es in einem der Meister-Gedichte … Voilà, hier ist sie zu bestaunen: Thomas Kunst schreibt sie selbst, eine Dichtung von elementarer, wilder Kraft.«

Lyriker, Herausgeber und Übersetzer Joachim Sartorius empfiehlt Steine aus dem Himmel von Tomaž Šalamun, übersetzt von Matthias Göritz, Liza Linde und Monika Rinck: »Das Übersetzertrio Matthias Göritz, Liza Linde und Monika Rinck schenkt uns mit bravourösen Übertragungen der späten Lyrik von Tomaž Šalamun eine geballte Ladung Munterkeit und Frische. Die von ihnen getroffene Auswahl zeigt Tomaž Šalamun at his best: Er sprengt die Regeln der Sprache, überschreitet poetische Geschmacksgrenzen und sucht nach den prächtigsten Vermischungen von Unsinn, Wollust und Protest. Wie schon in den frühen Versen gelingen ihm erstaunliche Verbindungen von hohem Ton und rüdem Gassenhauer. Die Übersetzer stellen ihren untrüglichen Sinn für die vielen Sprachregister unter Beweis. Steine aus dem Himmel nannte Šalamun seine Gedichte und spielte damit auf die Kraft seiner Sprache an, darauf auch, wie ihm diese Bilder zufielen, aus dem Himmel, in dem auch einige seiner poetischen Ahnherren residieren – Velimir Chlebnikov, Lautréamont und John Ashbery.«

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, die Stiftung Lyrik Kabinett, das Haus für Poesie und der Deutsche Literaturfonds geben in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Bibliotheksverband einmal jährlich eine Empfehlungsliste von Lyrik-Neuerscheinungen heraus. Die Jurymitglieder wählen deutschsprachige und ins Deutsche übersetzte Gedichtbände aus, die sie für besonders empfehlenswert halten. Die ausgewählten Gedichtbände werden zum Welttag der Poesie am 21. März in über 350 Buchhandlungen und Bibliotheken bundesweit präsentiert.

Flussgang

24,00 €

Winterpoem 20/21

22,00 €

24,00 €

Steine aus dem Himmel

24,00 €
24,00 €
22,00 €
24,00 €
24,00 €

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Robert Schindel, geboren 1944 in Bad Hall bei Linz, ist Lyriker, Autor, Regisseur. Die Zeit des Nationalsozialismus überlebte er als Kind jüdischer Kommunisten in Wien. Er war Wortführer der radikalen Studentenbewegung Kommune Wien und Mitbegründer der Gruppe Hundsblume. 2009 wurde er als Professor an die Wiener Universität für angewandte Kunst berufen. Ausgezeichnet wurde er u.a. mit dem Erich-Fried-Preis (1993), dem Eduard-Mörike-Preis (2000), dem Preis der Stadt Wien für Literatur (2003), dem Jakob-Wassermann-Literaturpreis (2007) und dem Heinrich-Mann-Preis (2014). Werke u.a. Gebürtig. Roman (1992), Mein liebster Feind. Essays, Reden, Miniaturen (2004), Fremd bei mir selbst. Die Gedichte (2004), Mein mausklickendes Saeculum....

Robert Schindel, geboren 1944 in Bad Hall bei Linz, ist Lyriker, Autor, Regisseur. Die Zeit des Nationalsozialismus überlebte er als Kind...

Maria Stepanova, 1972 in Moskau geboren, ist die international erfolgreichste russische Dichterin der Gegenwart. Für ihr umfangreiches lyrisches und essayistisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet. Ihr Prosadebüt Nach dem Gedächtnis (2018) wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Sie lebt zurzeit in Paris.
Maria Stepanova, 1972 in Moskau geboren, ist die international erfolgreichste russische Dichterin der Gegenwart. Für ihr umfangreiches lyrisches und...

Thomas Kunst, geboren 1965 in Stralsund, lebt und arbeitet in Leipzig. Er veröffentlicht Gedichte und Romane sowie Hörbücher, für die er mehrfach ausgezeichnet wurde, unter anderem mit dem Lyrikpreis Meran 2014. Für einen Auszug aus Zandschower Klinken erhielt er den Niederösterreich Literaturpreis 2018.

Thomas Kunst, geboren 1965 in Stralsund, lebt und arbeitet in Leipzig. Er veröffentlicht Gedichte und Romane sowie Hörbücher, für die er mehrfach...