1970: Der Suhrkamp Verlag existiert zu diesem Zeitpunkt seit 20 Jahren. Der Büchner-Preisträger des Jahres 1970 ist Thomas Bernhard (von ihm erscheint vier Wochen vor der Überreichung des Preises im Oktober der Roman Das Kalkwerk), die Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels sind Gunnar und Alva Myrdal (von Gunnar Myrdal erscheint im September das Buch Politisches Manifest über die Armut in der Welt). Das Jahr begann für Verleger und Verlag mit der Publikation neuer...
1970: Der Suhrkamp Verlag existiert zu diesem Zeitpunkt seit 20 Jahren. Der Büchner-Preisträger des Jahres 1970 ist Thomas Bernhard (von ihm erscheint vier Wochen vor der Überreichung des Preises im Oktober der Roman Das Kalkwerk), die Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels sind Gunnar und Alva Myrdal (von Gunnar Myrdal erscheint im September das Buch Politisches Manifest über die Armut in der Welt). Das Jahr begann für Verleger und Verlag mit der Publikation neuer Bücher von Peter Handke (Die Angst des Tormanns beim Elfmeter) und Martin Walser (fiction). In der 2. Hälfte des Jahres erscheinen der erste Band der Jahrestage von Uwe Johnson und Mamma von Ernst Augustin.
Das Jahr 1970 ist auf der einen Seite typisch für den Verlag: Thomas Bernhard stellt erneut finanzielle Forderungen, Uwe Johnson beklagt sich bei Siegfried Unseld bitterlich, weil er über einen Vorabdruck nicht informiert wurde – und der ist damit beschäftigt, die Autoren wieder zu besänftigen bzw. umzustimmen. Wolfgang Koeppen wiegt sich und andere in der Illusion, einen neuen Roman in Wochenfrist beendet zu haben. Auf der anderen Seite berichtet die Chronik 1970 von einer außergewöhnliche Niederlage: Der Suhrkamp Verlag trennt sich vom Kursbuch, das letzte Heft, Nr. 20, erscheint im März 1970. Damit hat Unseld die in seinen Augen größte mit dieser Zeitschrift verbundene Gefahr gebannt: das Auseinanderfallen der Autorengruppe des Verlags, wenn im eigenen Haus Autoren des Verlags von anderen Hausautoren kritisiert werden.
Die Tatsache, daß Siegfried Unseld im Januar 1970 beginnt, eine Verlagschronik zu führen, erklärt sich aus den Ereignissen der drei vorangegangenen Jahre: 1967 und 1968 versucht der Verleger, zwischen der Studentenbewegung auf der einen und dem konservative Börsenverein des Deutschen Buchhandels auf der anderen Seite zu vermitteln – mit dem Resultat, daß die Lektoren im Oktober 1968 den Aufstand proben, viele von Ihnen den Verlag danach verlassen und es 1969 zur Gründung eines Verlags der Autoren mit Schwerpunkt Theater kommt. Die Berichte, die Siegfried Unseld über die Konflikte zwischen 1967 und 1969 diktiert hat, sind als Prolog der Chronik 1970 vorangestellt.
Diese Edition dokumentiert detailliert das Innenleben des Suhrkamp und des Insel Verlags, deckt die entscheidenden programmatischen Weichenstellungen auf, gewährt Einblick in die ökonomischen Abläufe eines Privatunternehmens, erhellt den Kontext, in dem Bücherprogramme Halbjahr für Halbjahr entstehen, schildert die Beziehungen zwischen Autoren und dem Verleger. Die Chronik ist die Geschichte des Suhrkamp Verlags und die Autobiographie seines Verlegers, die Siegfried Unseld nicht mehr schreiben konnte.
Siegfried Unseld wurde am 28. September 1924 in Ulm geboren und starb am 26. Oktober 2002 in Frankfurt am Main. Nach dem Abitur wurde er im Zweiten Weltkrieg zum Kriegsdienst einberufen und war drei Jahre lang, bis 1945, als Marinefunker im Einsatz. Nach seiner Rückkehr absolvierte er beim Ulmer Aegis Verlag eine Lehre als Verlagskaufmann. 1947 erhielt er durch die Vermittlung von Professor Weischedel die erstrebte Zulassung an der Universität Tübingen und studierte dort Germanistik, Philosophie, Nationalökonomie, Völkerrecht, Bibliothekswissenschaften und Sinologie. Seinen Lebensunterhalt bestritt Unseld als Werkstudent. Bis 1950 arbeitete er im Verlag J. C. B. Mohr in Tübingen. 1951 promovierte er mit einer Dissertation über Hermann Hesse zum Dr. phil. 1952 trat er in den Suhrkamp...
Siegfried Unseld wurde am 28. September 1924 in Ulm geboren und starb am 26. Oktober 2002 in Frankfurt am Main. Nach dem Abitur wurde er im...
Raimund Fellinger, geboren 1951 im Saarland, arbeitete nach Studium von Germanistik, Linguistik und Politikwissenschaft seit 1979 als Lektor im Suhrkamp Verlag, seit 2006 als Cheflektor. Er starb am 25. April 2020 in Frankfurt am Main.
Raimund Fellinger, geboren 1951 im Saarland, arbeitete nach Studium von Germanistik, Linguistik und Politikwissenschaft seit 1979 als Lektor im...