Im Porträt: Dževad Karahasan

Im Porträt: Dževad Karahasan

»Karahasan errichtete Welten jenseits der Raster und der Sprache der Zeitgeschichte.«

Lothar Müller
Dževad Karahasan zählte zu den bedeutendsten europäischen Autoren der Gegenwart. Sein umfangreiches Werk umfasst Romane, Essays, Erzählungen und Theaterstücke, die vielfach ausgezeichnet wurden, u. a. mit dem Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung 2004 und mit dem Goethepreis der Stadt Frankfurt 2020. Dževad Karahasan verstarb am 19. Mai 2023 im Alter von 70 Jahren in Graz. Noch zu Lebzeiten nominiert, wurde er »für sein leidenschaftliches Eintreten für Toleranz und Humanität« 2023 posthum mit dem Fritz-Csoklich-Demokratiepreis ausgezeichnet.

Beliebte Werke von Dževad Karahasan

Das Buch der Gärten

15,00 €

Tagebuch der Übersiedlung

24,00 €

Der Trost des Nachthimmels

16,00 €

Tschewengur

32,00 €

Sara und Serafina

8,99 €

Die Schatten der Städte

17,80 €

Der nächtliche Rat

18,00 €

Ein Haus für die Müden

24,00 €

Einübung ins Schweben

25,00 €

Berichte aus der dunklen Welt

19,80 €
15,00 €
24,00 €
16,00 €
32,00 €

ÜBER DŽEVAD KARAHASAN

»Das offene und heimliche Zentrum seines Denkens und Erzählens blieb das belagerte Sarajevo, wie ... sein erst im vergangenen Januar erschienener Roman Einübung ins Schweben.«
Gregor Dotzauer, Der Tagesspiegel
»Karahasan errichtete Welten jenseits der Raster und der Sprache der Zeitgeschichte.«
Lothar Müller, Süddeutsche Zeitung
»Sein vielstimmiges und vielgestaltiges Werk ist Ausdruck eines tiefen Vertrauens in die Erzählbarkeit und damit Entgiftbarkeit der Welt.«
Andreas Breitenstein, Neue Zürcher Zeitung
»Das offene und heimliche Zentrum seines Denkens und Erzählens blieb das belagerte Sarajevo, wie ... sein erst im vergangenen Januar erschienener Roman Einübung ins Schweben.«
Gregor Dotzauer, Der Tagesspiegel
»Karahasan errichtete Welten jenseits der Raster und der Sprache der Zeitgeschichte.«
Lothar Müller, Süddeutsche Zeitung
»Sein vielstimmiges und vielgestaltiges Werk ist Ausdruck eines tiefen Vertrauens in die Erzählbarkeit und damit Entgiftbarkeit der Welt.«
Andreas Breitenstein, Neue Zürcher Zeitung
»Kaum ein anderer verkörperte die „bosnische Seele“ – bosanska duša – so wie er.«
Erich Rathfelder, taz. die tageszeitung
»Sein Ton war unverwechselbar. Sein Schreiben philosophiosch grundiert. Dževad Karahasan kannte die Menschen und begegnetet ihnen trotzdem gütig und mit Humor.«
Cornelia Zetzsche, deutschlandfunk.de

DER ABWESENDE ZEITZEUGE

Laudatio auf Dževad Karahasan
anlässlich der Verleihung der Ehrengabe der Heinrich-Heine-Gesellschaft


von Lothar Müller
 
In Heinrich Heines »Romanzero« findet sich im Zyklus »Historien«, in der Nachbarschaft von Richard Löwenherz, der aus der österreichischen Haft zurückkehrt, und des letzten Maurenkönigs, der 1492 den Abschiedsblick auf seine von den Christen eroberte Residenz Granada wirft, das Gedicht »Der Asra«:

Täglich ging die wunderschöne
Sultanstochter auf und nieder
Um die Abendzeit am Springbrunn,
Wo die weißen Wasser plätschern.

Täglich stand der junge Sklave
Um die Abendzeit am Springbrunn,
Wo die weißen Wasser plätschern;
Täglich ward er bleich und bleicher.
 
Eines Abends trat die Fürstin
Auf ihn zu mit raschen Worten:
»Deinen Namen will ich wissen,
Deine Heimat, deine Sippschaft!«

Und der Sklave sprach: »Ich heiße
Mohamet, ich bin aus Yemmen,
Und mein Stamm sind jene Asra,
Welche sterben, wenn sie lieben.«

In Frankreich, in Stendhals »De l’Amour«, hat Heinrich Heine die arabische Quelle gefunden, aus der er schöpfte. In Südosteuropa wurde sein Gedicht zum Lied. Dževad Karahasan hat es von einem Patienten gehört, als er während der Kriegsmonate in einem Krankenhaus aushalf. So erzählt er es in seinem »Tagebuch der Aussiedlung« von 1993. Der Kranke glaubte ein bosnisches Volkslied zu singen, denn, so fährt Karahasan fort, »es gibt viele solcher Lieder, die – in Wien auf Verse deutscher oder österreichischer Dichter komponiert – mit der österreichischen Verwaltung zusammen nach Bosnien kamen. Sie wurden als ›österreichische Sevdalinkas‹ angenommen, und noch heute werden sie von den bosnischen Menschen gesungen, die sie lieben und die glauben, dass diese Gedichte etwas von ihnen und ihrem Weltverständnis aussagen. Die Bosnier wissen, dass es sich um keine Originale, um keine »echten Sevdalinkas« handelt, aber sie lieben sie, singen sie und sehen sie als ihre Lieder an. Das sind sie auch unbestritten, denn sie gehören zu Bosnien, sie sind ein Bild des Bosnien, wie ich es habe, so wie mein Bild die Vorstellung eines anderen Menschen von mir ist, mein Bild in seinen Augen.«
Dževad Karahasan ist 1953 als Kind einer muslimischen Familie in Duvno geboren, in Jugoslawien, einem Staat, den es nicht mehr gibt, in einer alten, in römischen Quellen auffi ndbaren Stadt, die ihren Namen gewechselt hat und jetzt, wie schon zwischen 1925 und 1945, nach dem mittelalterlichen ersten kroatischen König Tomislav heißt und von der ein aktuelles Lexikon weiß: »Es leben Wölfe, Schlangen und Bären in den Bergen rund um die Stadt. Tomislavgrad hat eine hohe Auswanderungsrate«. Leicht ließe sich aus dieser Herkunft Karahasans aus einem zerfallenen, in Kriegen untergegangenen Staat der Steckbrief eines Zeitzeugen herausschreiben. Eines Zeitzeugen, in dessen Wohnung in Sarajevo, wo er als Dozent an der Universität Dramaturgie lehrt, im Sommer 1992 ein Granatsplitter im Bücherschrank einschlägt und Faulkners Erzählungen  ebenso  halbiert  wie  Nadeshda  Mandelstams  »Furcht  und Hoffnung« und eine alte, in einem Antiquariat in Zagreb erstandene Ausgabe von Kellers »Grünem Heinrich«, dessen mehrere tausend Bände umfassende Bibliothek von einquartierten Neubewohnern größtenteils verheizt wird, nachdem er im Februar 1993 die Stadt verlassen hat und in Graz Dramaturgie lehrt und seine Theaterstücke, Essays und Romane schreibt, dort Stadtschreiber wird, der nach Kriegsende immer wieder nach Sarajevo zurückkehrt, eine bipolare Existenz führt, mal zwischen Graz und Sarajevo pendelt, mal zwischen Sarajevo und Berlin, wo er im November 2009 an der Humboldt-Universität seine Antrittsvorlesung als Inhaber der Siegfried-Unseld-Professur über Anton Tschechow als Komödienschreiber hält. Es wäre aber mit diesem Steckbrief des Zeitzeugen Dževad Karahasan, der den Zerfall der Nachkriegsordnung, in der er aufwuchs, erlebte, der gleichnamige Autor zwar ins Spiel gebracht, aber noch nicht recht ins Licht gestellt. Denn wenn ich in einem Satz sagen müsste, wofür ich Dževad Karahasan loben will, so wäre es dieser: dafür, dass sein Werk uns ein gültiges Bild des historischen Ortes gibt, aus dessen Erfahrung es herausgewachsen ist, dass es aber aus der Weigerung entstanden ist, sich von der Zeitgeschichte seine Sprache und Poetik diktieren zu lassen. Meine Laudatio besteht daher aus nichts anderem als dem Versuch, den Titel zu erläutern, den ich ihr gegeben habe: Der abwesende Zeitzeuge.

Die Laudatio auf Dževad Karahasan hier in voller Länge lesen (PDF) »

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